Die Hopfendynastie
by Sigrid Lenz on Jul.19, 2010, under Bücher, Erzählungen, Gesellschaft, Humor, Satire
Die Hopfen-Dynastie
Aus dem Leben einer TV-Serie
Irrungen und Wirrungen am Set einer erfolgreichen Mystery-Serie.
Der Unfall eines Hauptdarstellers wirft Fragen auf, die neben der Besetzung auch die Polizei und Fans beschäftigen. Es stellt sich heraus, das eine Angestellte des Catering Services mehr damit zu tun hat, als ihre unscheinbare Erscheinung vermuten lässt. Ein abgehobener Drehbuchautor trägt ebenso zu den Komplikationen bei, wie das undurchsichtige Beziehungsgeflecht am Set.
Die Situation spitzt sich zu, als ein weiterer Darsteller entführt und gefangen gehalten wird. Geheimnisse, Erpressungs- und Mordversuche, unerwiderte, aber auch erwiderte Liebe und die brodelnde Gerüchteküche verändern die Zukunft und Gegenwart der Serie auf irreparable Weise.
Erschienen im AAVAA Verlag 2010
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Band 2
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Leseprobe Hopfendynastie Band 1
„Pst. Sascha!“ Sie winkte, wie sie hoffte unauffällig dem Autor, der auf der Ferse kehrt machte, und sich ihr eifrig näherte.
„Weißt du, wie der Drehplan für heute aussieht?“, fragte Magdalena leise, wohl darauf bedacht, dass niemand sie belauschte.
Sascha zog die Augenbrauen zusammen. „Für heute?“, murmelte er. „Da ist nicht mehr viel. Aber ja, ich habe einen Blick hineingeworfen.“
„Und?“ Magdalena bemerkte, wie ihre Hände zitterten und versteckte sie vorsichtshalber in den Falten ihrer Schürze.
Sascha zuckte mit den Schultern. „Was interessiert dich denn im Besonderen?“ Doch bevor er den Satz beenden konnte, unterbrach ihn Magdalena. „Carsten“, sagte sie schnell. „Kommt er heute noch einmal dran?“ Saschas Blick wanderte durch den Raum, blieb an Carsten Collar hängen, der seine Nase gerade in einen Drehbuchentwurf steckte.
„Nein.“ Sascha schüttelte den Kopf. „Ob er morgen dabei ist, muss sich auch erst herausstellen. Je nachdem, wie weit wir heute noch kommen.“
Magdalena biss sich auf die Lippen. „Ich verstehe“, murmelte sie.
Das bedeutete, dass sie tatsächlich genau jetzt handeln musste. Wie bald sich eine weitere Gelegenheit ergäbe, stand in den Sternen und Magdalena hatte nicht vor, ein Risiko einzugehen. War Angelos Absturz erst im Kasten, dann konnte zumindest sie wohl nicht mehr viel daran ändern.
Und das Glück war ihr an diesem Tag weiterhin hold. Nicht nur, dass sie nur einen Moment, nachdem Sascha sich abgewandt hatte, Kalle abpassen konnte und ihm auf unbestimmte Zeit das Kommando übertrug, auch Carsten beendete offenbar sein Studium zukünftiger und bislang nur ausgedruckter Ereignisse und richtete seine Schritte in Richtung des rückwärtigen Ausganges.
Das war ihre Chance. Magdalena strich ihren Kragen gerade und steckte sich eine Strähne, die sich frech gelöst hatte, wieder zurück in ihre Frisur. Und dann war es soweit. Dann folgte sie Carsten auf seinem Weg, aus den Augen der Mitarbeiter hinaus in sein privates Leben. Das Herz pochte ihr bis in den Hals hinauf, und sie fühlte den Moment kommen, kurz bevor der Schweiß unangenehm ausbrach. Aber sie hatte keine Wahl. Die Würfel waren gefallen, und es wäre doch gelacht, wenn sie nicht ausführen konnte, was ausgeführt werden mussten.
In ihrem Rücken hörte Magdalena die Stimmen der Darsteller, die sich auf die nächste Szene vorbereiteten. Sie fühlte Kalles Blick. Für einen Moment glaubte sie auch, die Augen von Dennis in ihrem Rücken zu spüren. Doch dann war sie aus der Seitentür heraus, lief den kurzen grauen Gang entlang, ahnte mehr als dass sie den Weg vor sich sah, den Carsten einschlug.
Und dann stand sie vor ihm, schnitt ihm den Weg ab und trotz des Blutes, das lautstark in ihren Ohren rauschte, hörte sie seine erstaunten Worte.
„Holla!“ Carsten stoppte im Schritt, als Magdalena ihn quasi von der Seite ansprang. „Nicht so schnell hier.“
Magdalena schnappte nach Luft und bemerkte zu ihrem Schrecken, dass sie rot anlief. Doch für Nebensächlichkeiten war keine Zeit.
„Carsten… ich meine… Herr Collar…“; begann sie zu stammeln.
„Ja?“, antwortete Carsten amüsiert.
„Ähm…“ Magdalenas Kehle wurde trocken. Sie starrte hinauf in Carstens haselnussbraune Augen und verlor für einen Augenblick die Konzentration. Um genau zu sein, verlor sie sich vollständig in dem Anblick der attraktiven Gesichtszüge. Sie öffnete ihre Lippen, versuchte zu sprechen, doch brachte immer noch keinen Ton heraus. Stattdessen wanderte ihr Blick wie von selbst an Carstens schlanker Gestalt hinab. So nah war sie ihm noch nie gewesen, nicht ohne dass ein Tablett sie trennte.
Carsten räusperte sich, als Magdalenas Blick am feinen Stoff seiner Hose hängenblieb. ‚Viel zu dünn‘, dachte sie zusammenhanglos. ‚Er ist einfach viel zu dünn.‘
„Die Kamera mogelt immer… das ist nicht gesund“, krächzte sie, ohne sich bewusst zu werden, dass ihr Mund tatsächlich Worte bildete.
„Wie bitte?“ Erschrocken sah Magdalena auf und begegnete Carstens verdutztem Gesichtsausdruck. Verwirrt wedelte sie mit ihrer linken Hand in der Luft herum. „Nichts…“, flüsterte sie. „Gar nichts… es ist nur…“
Carstens Augenbrauen wanderten nach oben. „Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“ Gleichzeitig begann er an ihr vorbeizusehen, und Magdalena beschlich der Verdacht, dass der Mann an einem Fluchtweg plante. Eine Flucht vor ihr – das war einfach lächerlich. Hastig ging sie einen Schritt auf ihn zu und packte ihn am Arm. „Es ist wichtig“, flüsterte Magdalena. „Ich muss mit Ihnen sprechen.“
„Ja, gut“, zögerte Carsten. „Worum geht es denn?“
„Das Unvermeidliche“, krächzte Magdalena.
„Ich verstehe nicht ganz.“ Carsten versuchte, seinen Arm aus Magdalenas Griff zu befreien, doch sie klammerte sich an seinen Ärmel. Er schüttelte diesen, aber ihre Hand klebte wie Leim an ihm.
„Das Unvermeidliche“, wiederholte Magdalena etwas fester. „Wir müssen es aufhalten.“
Carsten schluckte. „Geht es um das Büffet?“ Mit einem Schlag war ihm klar geworden, um wen es sich bei der leicht verwirrt wirkenden Erscheinung handelte.
„Ähm, alles, was Sie uns auftischen ist ganz wundervoll.“
Magdalena sah ihn groß an, und für einen Augenblick wirkte sie auf ihn noch verwirrter als zuvor. Dann schüttelte sie langsam den Kopf. „Aber es ist Ihre Zukunft. Wir dürfen nicht zulassen, dass Angelo abgesägt wird.“
„Abgesägt?“ Carsten schüttelte den Kopf und unternahm einen weiteren Versuch, sich zu befreien. „Was meinen Sie damit?“
Magdalena hielt ihn nur noch fester, als sie einen Schritt näher kam, bis sie sich beinahe berührten. Alarmiert blickte Carsten sich um, doch sie standen alleine auf dem Flur, der zum Hinterausgang führte.
„Ich meine damit, dass es Zeit wird zu handeln“, flüsterte Magdalena, und ein aufgeregtes Lächeln zuckte um ihre Lippen. „Und wir sind nicht alleine. Es gibt viele, die so denken wie wir.“
Carsten schüttelte seinen Kopf, lächelte unsicher. „Ich verstehe immer noch nicht. Worauf wollen Sie hinaus?“
Magdalena lehnte sich verschwörerisch näher. „Ganz einfach. Es existieren Pläne, die Angelo zurück in die Position bringen, in die er gehört. Ganz nach vorne.“
Carsten räusperte sich. „Ach, meinen Sie?“
Magdalena nickte eifrig. „Aber natürlich.“
Sie senkte ihren Blick, und für einen Moment sah Carsten tatsächlich die Möglichkeit, sich aus ihrem Griff zu befreien. Doch bevor er sich tatsächlich losreißen konnte, bemerkte auch Magdalena ihren Augenblick der Schwäche, und krallte sich mit neu erwachtem Enthusiasmus in seinen Ärmel. Gleichzeitig schmiegte sie sich an ihn, und sah vertrauensvoll zu ihm auf.
Carsten schluckte verwirrt. „Äh, ich denke, ich muss jetzt gehen.“
Beinahe erschrocken packte Magdalena mit der freien Hand den Saum von Carstens Jacke. „Aber nein. Nicht doch. Wir… wir müssen doch auch noch die Hochzeit besprechen. Und… und wie wir genau vorgehen werden.“
„Ähm.“ Carsten blinzelte. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Soviel war sicher.
„Nachdem der Ausfall Heinrichs nicht den erwünschten Effekt hatte, dachte ich zuerst an Ferdinand…“, versuchte Magdalena sich zu erklären. Gleichzeitig sah sie sich ängstlich um, doch war der Ort geradezu ideal ausgewählt. Zu einer Tageszeit wie dieser praktisch unbelebt. Und nicht zuletzt baute Magdalena auf den Vorteil, dass in der Hektik und dem Treiben am Set, niemand Zeit oder Energie aufbrachte, bedeutungslose Gespräche zu belauschen. Von außen betrachtet vielleicht bedeutungslos, doch in Wahrheit von entscheidender Tragweite. Endlich erfuhr Carsten, dass sein Kampf nicht aussichtslos war, dass an seiner Seite Streiter existierten, die bereit waren, Opfer zu bringen und ihr Leben für die gute Sache einzusetzen. Magdalena fühlte wie Stolz in ihr emporstieg. Stolz auf sich und Stolz auf die anderen, die sich für Angelos Zukunft entschieden hatten.
„Die Gerechtigkeit wird siegen“, murmelte sie. Doch Carstens Aufmerksamkeit war an ihren vorigen Worten hängengeblieben. „Was ist mit Ferdinand?“, fragte er und vergaß für einen Moment, sich dagegen zu wehren, dass sie ihn immer noch festhielt.
„Keine Sorge.“ Magdalena rieb ihre Stirn an seinem Jackenkragen. „Ich weiß, dass du ihn behalten möchtest.“
„Dass ich…“ Carstens Verwirrung stieg. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf.
„Ist hier irgendwo eine Kamera versteckt?“, fragte er nervös. „Wird das ein Scherz? Da steckt doch sicher Pascal dahinter.“
„Ach du.“ Magdalena kicherte. „Pascal ist mit seinem Erfolg zu sehr beschäftigt. Deshalb müssen wir doch etwas unternehmen.“
Carsten schüttelte den Kopf. „Das ist mir doch zu dumm.“ Er bewegte sich vorwärts und zerrte Magdalena kurzentschlossen einfach mit sich. „Ich weiß nicht, was das soll“, bemerkte er atemlos, und irritiert, als Magdalena begann mit jedem Schritt ein leises Quietschen auszustoßen.
Magdalena fühlte sich schwindelig. Die Aufregung, die drohende Gefahr entdeckt zu werden von Kräften, die gegen sie arbeiteten, und nicht zuletzt die Nähe Carstens stieg ihr zu Kopf. Sie hörte sich selbst wie aus weiter Ferne kichern, als der Mann sie Schritt für Schritt weiterzog, in Richtung Ausgang.
„Ich bin froh, dass du es jetzt weißt“, stieß sie atemlos hervor. „Es war so schwierig, das alles die ganze Zeit für mich zu behalten. Und ohne dein Einverständnis würde ich ohnehin nichts unternehmen wollen.“
„Äh, ja, gut“, stotterte Carsten, als er merkte, dass die Frau keine Anstalten machte, ihren Griff zu lockern. Im Gegenteil, sie schien es fast zu genießen, dass er sie vorwärts zerrte und schubste. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.
Carsten verstärkte seine Anstrengungen. Doch da er im Eifer des Gefechtes nicht zu der Entscheidung gelangte, ob er seine Hauptaufmerksamkeit der Befreiung aus dem Griffes der Frau oder der Flucht nach vorne widmen sollte, erreichten auch diese Bemühungen nicht den gewünschten Zweck. Immerhin handelte es sich doch nur um eine Frau. Was sollte diese tun? Ihn mit ihren merkwürdigen Reden erschrecken?“
Und Magdalena erkannte ihren Vorteil, klammerte sich enger an ihn, und stellte sich gleichzeitig auf die Zehenspitzen. Sie streckte sich, bis ihre Lippen beinahe sein Ohr erreichten. „Darauf habe ich so lange gewartet“, hauchte sie und Carsten zuckte zusammen. „Worauf denn?“ Er verschluckte sich fast.
„Ach du“, flüsterte Magdalena. „Du liebst es, mich zu necken.“ Sie kicherte heiser. „Aber das macht nichts. Ich weiß doch, wie es in dir aussieht. Besser als jeder andere.“
Carsten strebte fort von ihr, doch Magdalena blieb wie eine Klette an ihm kleben. „Jetzt bin ich auch froh, dass wir es so lange geheim gehalten haben“, gestand sie ihm, während er sie beide vorwärts schob. „So ist doch alles viel schöner“, fuhr sie fort. „Und wir erwecken auch keinen Verdacht.“ Sie seufzte und kicherte gleichzeitig. „Ich kann unsere Hochzeit gar nicht erwarten“, gestand sie ihm. „Und wenn dann Angelo erst die Hauptrolle spielt, dann können wir uns auch Kinder leisten.“
„Ähm.“ Das war zu viel. Die aufflackernde Panik verlieh Carsten Kräfte, die zuvor gelähmt gewesen waren. Endlich gelang es ihm, sich loszureißen und ohne sich umzusehen, stürzte er vorwärts, stolperte fast über seine eigenen Füße, oder über die Magdalenas. In seiner Hast war es ihm nicht möglich, diese voneinander zu unterscheiden. Es kam nur noch darauf an, sich von dem wirren Gerede dieser Frau, von dem offensichtlichen Scherz, dessen Opfer er geworden war, zu befreien.
Carsten rannte den Gang hinunter, plante Pascal mit eigenen Händen zu erwürgen, sollte es sich herausstellen, dass der ihm diesen Streich gespielt haben.
Er riss die Tür auf und stürmte hinaus. Magdalenas Rufe gellten in seinen Ohren. „Angelo… geh nicht…“
Ohne nachzudenken schlug er eine ungewohnte Richtung ein. Und ohne nachzudenken sah er über die Schulter rückwärts, wollte sich vergewissern, dass der Vorsprung, den er sich erarbeitet hatte, ausreichte. Dieser Kindskopf von Pascal. So leicht käme der ihm nicht davon.
Und in diesem Moment stolperte er, fiel über einen am Boden befestigten Fahrradständer und schlug sich gründlich genug den Kopf an, um nicht mehr zu bemerken, wie ihn das Bewusstsein verlieh.
Magdalena kam keuchend näher. „Um Himmels willen, Carsten“, flüsterte sie, und sank neben ihm auf die Knie.
Die Welt verstummte um sie herum. Alles, was sie sah, was das Rinnsal Blut, dass aus der Platzwunde an der Stirn sickerte. „Um Gottes Willen!“
Magdalena presste ihre Hände gegen die Brust, bemühte sich durchzuatmen. Sie musste jetzt stark sein, für sie beide. Sie musste handeln. Nur wie?
In Magdalenas Gedächtnis hatte sich der erschrockene Gesichtsausdruck Carstens eingeprägt, und obwohl sie sich nicht vollkommen sicher war, woher dieser Schrecken rührte, so wuchs doch in ihr die Erkenntnis, dass die, wenn auch äußerst unwahrscheinliche Möglichkeit bestand, dass Carsten sich als weniger kooperativ erwies, als sie angenommen hatte.
Magdalena schüttelte den Kopf und sah auf den bewusstlosen Mann herunter. So hilflos, so ahnungslos und so in ihrer Hand.
Leseprobe Hopfendynastie Band 2
„Sie hat mir zugezwinkert“, behauptete Kalle erneut. „Und ich habe gelesen, dass sie am liebsten Latte Macchiato trinkt. Wenn wir das anbieten und ihr klar machen, dass es meine Idee war, dann… dann…“
„Was dann…“, zischte Magdalena. „Dann fällt sie dir dankbar um den Hals? Ich glaube, du tickst nicht ganz richtig.“
„Ich ticke nicht richtig?“, wehrte sich Kalle. „Du kochst doch dauernd Carstens Leibspeisen. Wer sucht denn alle noch so absurden Rezepte heraus, gräbt nach den merkwürdigsten Zutaten und das alles nur, um einen zweitklassigen Nebendarsteller zu beeindrucken?“
„Was erlaubst du dir?“ Magdalena lief rot an. „Ich kenne Carstens Geschmack. Ich kenne ihn. Und du glaubst, nur weil du eine Klatschzeitschrift gelesen hast, dass du weißt, was Lara sich wünscht. Denkst du im Ernst, dass auch nur die winzigste Chance besteht, dass ein Mädchen wie sie …“
Kalle schnaubte. „Nur wer wagt gewinnt. Und bis jetzt hatte sie noch kein richtiges Glück. Ich weiß, dass sie sich nach jemandem sehnt, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht.“
„Und der wärest wohl du“, riet Magdalena.
„Wer weiß?“, konterte Kalle. „Bestimmt nicht einer von den trüben Tassen hier. Sieh dich doch mal um.“
Er schüttelte den Kopf, und als Magdalena seinem Blick folgte, fiel dieser auf Pascal, der immer noch mit trübem Gesichtsausdruck und hängenden Schultern in der Ecke saß.
Kalle schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Ich hab keine Ahnung, was diese Lusche sich denkt, aber offenbar ist er nicht Manns genug, um sich einer Frau wie Lara anzunehmen.“
Magdalena runzelte die Stirn. „Vielleicht ist sie auch nur einfach nicht sein Fall. Hast du schon einmal daran gedacht?“
Kalle lachte kurz auf. „Lara Siton ist ja wohl jedermanns Fall. Eine Frau wie sie… das glaubst du doch wohl nicht im Ernst?“
„Oh Mann.“ Magdalena verdrehte die Augen. „Geschmäcker gehen nun mal auseinander. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“
„Genau so ist es“, verkündete Kalle. „Und deshalb denke ich auch, dass Lara nach all den verwöhnten und überspannten Schauspieler-Affen gar nichts dagegen hat, sich auf etwas Handfestes einzulassen.“
„Oh Mann.“ Magdalena seufzte auf. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde mich trotzdem nicht dafür einsetzen, dass wir irgend so einen neumodischen Kaffee-Schnickschnack servieren, der Himmel welche Umstände macht. Ganz sicher nicht auf den bloßen Verdacht hin. Versuch es doch auf die altmodische Art. Mit Blumen und Konfekt.“
„Mit was?“ Kalle zog die Augenbrauen hoch. „Das macht heute keiner mehr.“
Magdalena rümpfte die Nase. „Denkst du vielleicht. Aber ich wette, Lara ist vornehmes Umwerben gewohnt.“
„Was gewohnt?“ Kalle sah sie verständnislos an. „Sie ist doch keine Sechzig.“
„Oh Mann.“ Magdalena seufzte. „Ganz echt. Die Jugend von heute hat keine Ahnung.“ Sie sah Kalle ruhig an. „Also, fürs erste will jede Frau umworben werden.“
Ihr Blick fiel auf Pascal in der Ecke, der sich immer noch nicht gerührt hatte, und sie nickte. „Ein gutes Beispiel. Irgendwie kann ich mir Pascal nicht mit Blumen und Pralinen vorstellen. Und jeder weiß, dass er es vorzieht, in T-Shirt und Jeans herum zu lümmeln. Frauen aber…“, sie neigte sich nach vorne, blinzelte verschwörerisch, „Frauen möchten ausgeführt werden, sich schick machen und von einem eleganten Mann auf die Tanzfläche geleitet werden.“ Sie lehnte sich wieder ein Stückchen zurück und sah Kalle abschätzend an. „Dich allerdings sehe ich auch nicht so recht auf der Tanzfläche.“
Kalle schluckte unsicher. „Aber… wenn das so wäre… ich meine, Carsten Collar macht so was auch nicht.“ Er verschränkte bestimmt die Arme vor der Brust. Doch Magdalena lächelte nur mitleidig. „Das liegt nur daran, dass er auf die Richtige gewartet hat.“ Sie blickte versonnen in die Ferne. „Manche Männer zeigen Geduld. Sie haben es nicht nötig, sich ständig zu präsentieren.“
„Äh ja.“ Kalle räusperte sich. „Also kein Latte.“
Magdalena kehrt mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. „Kein Latte“, bestätigte sie. „Nichts mit Milchschaum oder ähnlich unnötigem Quatsch.“
„Oh Mann.“ Kalle seufzte. „Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten“, bemerkte er noch. „Ich gehe jede Wette ein, dass sich Anfragen nach Milchschaum und Quatsch baldigst häufen werden.“
Magdalena schüttelte den Kopf. „Dann wette mal schön. Aber wir sind ein altmodischer Betrieb. Und dabei bleibt es auch.“
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Pascal mehrfach aufgefordert werden musste, bevor er sich mit einem vernehmlichen Stöhnen erhob und schleppenden Schrittes, einem Greis nicht unähnlich, den Platz verließ, an dem er beinahe festgewachsen zu sein schien.
„Na endlich.“ Auch Teds Geduld näherte sich ihrem Ende. „Was zum Teufel ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte er, worauf Pascal lediglich unglücklich seinen Kopf schüttelte.
„Was ist los?“ Flora und Carmen hatten ihre Zigarettenpause beendet und befanden sich auf dem Weg in die Maske. „Wir sind doch nicht schon dran?“ Ted schüttelte den Kopf. „Nicht doch. Ihr seid erst an der Reihe, wenn die Hopfens ihr Familiendrama ein wenig erweitert haben.“
„Ist alles klar mit dir?“ Flora hängte sich bei Pascal ein, der sich zu einem halbherzigen Lächeln zwang. „Alles klar“, antwortete er schließlich. „Ist eben nicht so leicht, mit zwei Persönlichkeiten zu leben.“ Übertrieben betreten ließ er seinen Kopf hängen. „Ein schweres Schicksal.“
„Ach, mein armer Junge“, fiel Samira in das Spiel mit ein, und nahm seinen anderen Arm, als sie ihn zu Ted führten. „Keine Sorge… das kriegen wir schon hin. In der nächsten Staffel spielt Heinrich wieder außerhalb von dir.“
Pascal lächelte. „Schwer zu hoffen.“
Ted schnalzte mit der Zunge. „Genieße es, solange es dauert“, empfahl er. „Nach so einer Rolle würde sich so mancher Charakterdarsteller alle zehn Finger und Zehen lecken. Du hast eine Menge Möglichkeiten.“
„Eine Menge Möglichkeiten, um zu versagen“, murmelte Pascal, aber Samira hörte ihn trotzdem. „Ts“, widersprach sie ihm. „Du wirst das schon hinkriegen. Wollte Carsten dir nicht Tipps geben? Er hat doch mal diesen B-Film gedreht …“
Pascal nickte, seufzte dann und zuckte mit den Schultern. „Wollte er, aber keine Ahnung wo er steckt.“
„Vielleicht befürchtet er, dass du ihm zu große Konkurrenz machst“, giftete Lara von der Seite.
Pascal fuhr zusammen. „Was für ein Unsinn“, wehrte er ab. „Carsten würde nie auf so eine Idee kommen. Das ist völlig unter seiner Würde. Und außerdem sind wir Freunde.“
Samira nickte. „Da muss ich aber zustimmen. Carsten unterstützt einen immer. Alles andere läge ihm fern.“
„Er ist ein Schauspieler“, gab Ted zu bedenken. „Und außerdem nicht hier. Wir dagegen haben einen Zeitplan einzuhalten, beziehungsweise müssen retten was zu retten ist.“
„Außerdem wissen wir gar nicht, ob und wann Angelo noch einmal auftaucht“, meinte Lara bissig. „Ist er nicht schon so gut wie herausgeschrieben?“
„Ach, halt doch den Mund“, fuhr Pascal sie an, bevor Samira ihn zurückhalten konnte. „Na, na“, versuchte sie zu beschwichtigen. „Wir werden unseren ersten Sohn schon nicht vergessen. Nein, er muss doch zuerst noch durch seine Gewissenskonflikte gehen und mit großem Trara zur dunklen Seite wechseln.“
„Oder weniger großem“, brummte Ted und sah auf die Uhr. „Je nachdem, wie viel Sendezeit uns bleiben wird. Apropos Zeit…“, er klatschte in die Hände. „Jetzt aber mal los. Lara an deinen Platz, Flora und Carmen, Ihr wartet, bis Ihr dran seid, wenn ich bitten darf.“
„Du darfst“, kicherte Flora und gesellte sich zu Carmen, die einen letzten Blick auf ihren Text warf.
Magdalena beobachtete, wie sich die Szene entfaltete. Sie beobachtete, wie Pascal sein Bestes gab, wie Samira und Hans ihn unterstützten und wie sogar an Laras Auftritt nicht das Geringste auszusetzen war. Und trotzdem fiel ihr deutlicher denn je auf, wie viel aufgrund der Abwesenheit Carstens fehlte. Ohne ihn war die Serie einfach nicht dieselbe. Es ging ihr der Zauber ab, der an die Handlung band, der den Zuschauer fesselte. Magdalena wollte sich gerade zu Sascha umdrehen, den sie noch in ihrem Rücken wähnte und sich vergewissern, dass er dieselben Beobachtungen anstellte wie sie selbst, als mit der gewohnten Rücksichtslosigkeit und ungeachtet der Tatsache, dass er Proben oder gar Aufnahmen stören konnte, Gottlieb Torrent wieder hereinstürmte.
„Kann es wirklich sein, dass du von allen Schreibern noch am leichtesten aufzufinden bist?“, begrüßte er den Neffen ebenso dröhnend wie unfreundlich. „Ich glaube, Deine Kollegen verkriechen sich alle unter der Bettdecke, wenn das Telefon klingelt.“
Sascha zuckte mit den Schultern. „Wir sind nicht unbedingt ein kommunikatives Völkchen, wie dir vielleicht aufgefallen ist.“
„Ist mir“, knurrte Gottlieb zurück.
„Du musst dich rechtzeitig anmelden, uns vorwarnen, Zeit geben, dass wir uns auf das Notwendige vorbereiten, denn Spontanität gehört auch nicht unbedingt zu unseren Qualitäten.“
„Schon gut, schon gut.“ Gottlieb hob die Hände, als wolle er sich entschuldigen, ließ sie jedoch rechtzeitig wieder sinken, noch bevor die Geste interpretiert werden konnte. „Also sehe ich das richtig, dass ich mit dir vorlieb nehmen muss. Zumindest für den Moment und bis sich etwas Besseres auftut.“
Sascha schluckte die Bemerkung gekonnt herunter. „Schon recht. Also, was willst Du von mir?“
Gottlieb packte Sascha am Arm und zerrte ihn in einen Nebenraum, nachdem der finstere Blick, den Ted ihm zuwarf, auch in sein Bewusstsein vorgedrungen war. Nachdem er sich in einen der Stühle hatte fallen lassen, und Sascha nachlässig mit dem Fuß einen weiteren heranzog, knallte er eine Aktentasche auf die Tischoberfläche, klappte sie auf, und zog den Stapel Papiere heraus, den er bereits Ted vergeblich unter die Nase gehalten hatte. Mit Schwung warf er diesen vor Sascha. „Das ist alles Schrott“, verkündete Gottlieb mit Nachdruck. „So funktioniert das nicht. Auf gar keinen Fall. Nicht einmal mit den Aufnahmen, zu denen Maximilian sich bereits wieder bereiterklärt hat. Ganz zu schweigen davon, dass sogar diese problematisch werden, wenn Klang ernst macht.“
Sascha schüttelte den Kopf. „Was soll das heißen?“
Gottlieb winkte ab. „Ach, dieser Musiker, den wir unglücklicherweise bereits vertraglich verpflichtet haben, sieht sich nun als eine Art Kindermädchen für Maximilian. Er setzt nun alle Hebel in Bewegung, um seinen armen, geplagten ’Freund‘ zu schonen. Kein Risiko, kein Stunt, keinen Finger soll er rühren, bevor die Rehabilitation nicht komplett abgeschlossen ist.“ Gottlieb schüttelte den Kopf. „Und Maximilian, diese Pfeife, lässt das alles mit sich machen. Doppelt und dreifache Versicherungen, nur Nahaufnahmen aus ruhigen Positionen… kein Risiko, keine Action, keine Bewegung.“
Ärgerlich tippte Gottlieb auf den Papierstapel. „Das können wir alles vergessen. Durch die Bank. Wir müssen uns auf etwas anderes konzentrieren.“
Sascha holte tief Luft. Das war seine Chance. „Da bist Du bei mir genau an der richtigen Adresse“, verkündete er mit Nachdruck. „Pass auf, ich habe da eine phänomenale Idee.“
„Ach ja?“ Gottlieb blickte ihn zweifelnd an, und Sascha räusperte sich, nahm all seinen Mut zusammen. „Angelo.“
Gottlieb runzelte die Stirn. „Was ist mit ihm?“
Sascha räusperte sich erneut, schluckte den Frosch hinunter, der sich immer wieder in seinem Hals bilden wollte. „Wir müssen ihn zurückbringen.“
„Zurückbringen?“ Gottlieb zeigte sich uneinsichtig. „Wir haben doch eine sehr schöne Handlungslinie für ihn erarbeitet. Die beiden Frauen, mit dem Ober-Dämon im Bunde setzen alle Hebel in Bewegung, um ihn auf ihre Seite zu ziehen. Wir haben zuerst einen gebrochenen und dann einen bösen Angelo. Besser und interessanter kann es doch nicht laufen.“
Sascha räusperte sich. „Ja schon. Aber was passiert dann?“
„Was dann…“, meinte Gottlieb. „Dann wird er umgebracht. Und zwar noch bevor er endgültig in die Hölle rutschen kann. Ich denke so war es abgemacht. Und es ist höchste Zeit. Du siehst doch selbst, dass Carsten zu alt für unsere Serie ist. So geht es nicht weiter.“
Sascha räusperte sich wieder. „Ich bin nicht davon überzeugt, dass diese Lösung eine endgültige ist. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass wir Angelo wirklich auf die dunkle Seite befördern sollten. Irgendwie ist Carsten nicht der Typ dafür. Und dann…“
Sascha faltete die Hände auf der Tischplatte und starrte konzentriert auf seine Finger. „Ich habe mich umgehört“, meinte er dann. „Angelo ist beliebt. Er… er hat seine Fans.“ Sascha sah auf, sein Blick begegnete dem des Onkels. „Du musst mir da vertrauen“, meinte er weiter. „Diese Leute wollen ihn wiedersehen. Und zwar wollen sie ihn auf der guten Seite sehen. Wir… wir sollten vielleicht nicht davon ausgehen, dass unsere Serie nur Teenager anlockt. Auch wenn sich ältere Generationen vielleicht nicht ganz so stark zu Wort melden, so sind sie doch, was die Kaufkraft angeht, von längerfristigem Interesse. Ich würde durchaus vorschlagen, dass wir darauf achten, die Angelo-Anhänger nicht zu enttäuschen.“
Gottlieb runzelte die Stirn. „Ich habe noch nichts von Angelo-Anhängern gehört“, brummte er. „Bist du sicher, dass solche Gestalten existieren? Eigentlich scharrt sich doch alles um Maximilian, Lara und Ferdinand. Die anderen Figuren sind lediglich Beiwerk. Und hin und wieder eine von ihnen zu entfernen erhöht die Spannung und steigert das Interesse. Der Zuschauer weiß so, dass er immer wieder mit Überraschungen rechnen kann.“ Er schüttelte den Kopf. „Und dann Angelo? Haben wir den Charakter nicht ausgeschöpft? Gerade jetzt mit dem Ableben von Chantal Miso. Zu viele Wiederholungen sind auch von Übel und noch mehr Herz-Schmerz sollten wir nicht einbringen. Das lockte das falsche Klientel und langweilt die Zuschauer, die sich nicht die Bohne für Angelo interessieren.“
„Na… natürlich“, pflichtete Sascha seinem Onkel bei. „Deshalb entwickle ich ja auch schon an neuen Ideen. An… an sensationellen Wandlungen, die aber Angelo am Leben lassen und seine Stärken ausschöpfen.“
Gottlieb rümpfte die Nase. „Carsten ist nicht schlecht.“
Sascha nickte eifrig. Sein Blick wanderte durch die Glaswand ins Studio, wo Pascal gerade einen Auftritt absolvierte.